Leseandacht Jahreslosung 2023

Leseandacht, Jahreslosung 2023
Pfr. Anette Prinz, Musikstücke: Susanne Weingart-Fink

 

NL +130 Du siehst mich 
1. Du siehst mich, wo ich steh, wo ich geh, wo auch immer ich bin,
auch wenn mein Blick nur suchen kann, bist du, bist du, bist du mein Gott.
2. Denn du hörst mich, wo ich steh, wo ich geh, wo auch immer ich bin,
auch wenn mein Mund nur stammeln kann, bist du, bist du, bist du mein Gott.
3. Denn du liebst mich, wo ich steh, wo ich geh, wo auch immer ich bin,
auch wenn mein Herz nur zweifeln kann, bist du, bist du, bist du mein Gott.

1 „Du bist ein Gott, der mich sieht“.
Das sind die Worte der Jahreslosung, die uns durch das Jahr 2023 begleiten wollen. Sie stehen im 1. Buch Mose, im 3.Vers des 16.Kapitels. Was für ein schöner, was für ein wärmender Satz: „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Empfindest du das auch so?

Der Wunsch gesehen zu werden, ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Wer die Erfahrung schon gemacht hat, übersehen zu werden -absichtlich oder unabsichtlich-, der weiß, was das mit einem macht. Ich will gesehen werden mit dem, was ich kann und leiste und erlebe, mit dem was ich fühle und was mich bewegt. Unter Expert*innen gibt es die Meinung, dass ein Burnout häufiger durch fehlende Anerkennung ausgelöst wird als durch zu viel Arbeit.

Ich möchte gesehen werden. Es fängt im Kleinkindalter an, wenn Kindern ihren Eltern unermüdlich zurufen: „Guck mal, was ich kann“.-Gesegnet die Kinder, deren Eltern dann auch wirklich hinschauen-. Und setzt sich fort im Jugend- und Erwachsenenalter. Unsere sozialen Netzwerke, Facebook, Instagram und Co mit ihrer unfassbar großen Bilder- und Videoflut sprechen da für sich selbst.
Gleichzeitig geht in diesem riesigen Feld der digitalen Begegnung die persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch mehr und mehr verloren. Und das, obwohl wir auch alle wissen, wie gut es sich anfühlt, wenn uns jemand entgegenkommt, anlächelt, einen guten Morgen wünscht. Wir werden wahrgenommen. Jemand achtet auf uns- vielleicht nur einen Moment lang, aber es beflügelt die Seele und macht den Tag gleich etwas heller. Schade, dass der Blick aufs Handy heute vielen Menschen selbstverständlicher ist als der Blick in das Gesicht eines echten Gegenübers.

Ob er sich deshalb so gut anhört und anfühlt der Satz: „Du bist ein Gott, der mich sieht“, weil die Angst in uns steckt, nicht mehr gesehen, nicht mehr wahrgenommen zu werden?

Die erste, die es ausspricht, ist eine junge Frau aus dem Haushalt Abrahams. Hagar ist die ägyptische Leibsklavin von Abrahams Frau Sarah. Die scheint kinderlos zu bleiben, und so soll Hagar an ihrer statt Abraham ein Kind gebären. Hagar wird schwanger. Es kommt darüber zum Konflikt zwischen den beiden Frauen. Die schwangere Sklavin entflieht der Situation. Flieht in eine Wüstenoase. Und weiß nicht mehr weiter.
Gott aber geht ihr nach. Sein Engel, sein Bote sieht sie, erkennt ihre Not, spricht Hagar an: Wo kommst du her und wohin willst du? fragt er s, und ermutigt sie schließlich in Saras Dienste zurückzukehren. Zuvor aber verheißt er Hagar eine hoffnungsvolle Zukunft, in der das Kind, das sie gebären soll,-zu einem eigenen großen Volk wird.

Wie gut, wenn uns in einer Not jemand nachgeht, mit uns spricht uns neuen Mut macht. „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Darin drückt sich Hagars Dank und ihre ganze Erleichterung aus. Ich kann mir gut vorstellen, wie sich die junge, rechtlose Frau immer wieder an diesen Worten festhält. Wie sie sich sagt: „Ich bin jemand und nicht nur eine Sklavin. Und wenn es auch keinen Menschen kümmert: „Gott sieht mich“.
Später auch, als Sara nach der Geburt des eigenen Sohnes Hagar und ihr Kind aufs neue verstößt; später, als die beiden in der Wüste beinahe verdursten und ihr der Gottesengel die Augen für eine Wasserstelle öffnet, ist es in ihr: Du bist ein Gott, der mich sieht.

Wörtlich sagt Hagar: Du bist „El Roi“: Gott des Sehens. Du bist ein sehender Gott. Sie fasst in ihrem Bekenntnis zusammen, was die ganze Bibel durchzieht: „Gott sieht“, sieht seine Menschen an, sieht sie gnädig an.
Gott sieht das Elend seines Volkes in Ägypten, genauso wie den lebensmüden Elia. Und lässt sie nicht untergehen.
Maria wird singen: „Du hast die Niedrigkeit deiner Magd angesehen.“ Jesus sieht den Kranken am Teich Betesda liegen, sieht die blinden und verkrüppelten Menschen, sieht Arme, sieht Reiche, sieht Sünder, sieht Menschen, die sich im Recht fühlen, und die, die ins Unrecht gesetzt werden. Er sieht Gläubige und Ungläubige; Sieht sie alle an, sieht ihr Leid, ihre Not, ihre Irrungen, ihre Fesseln; Übersieht keinen von ihnen, spricht mit allen, hört ihnen zu, berührt sie, heilt sie, trinkt und isst mit ihnen, öffnet Augen und Herzen und neue Wege. Er zeigt auf seine Weise jedem von ihnen und zeigt es dir und mir: „Gott ist ein Gott, der dich sieht“.

Lied: NL +130 Du siehst mich   

2
Gottes Sehen und Hagars Geschick, haben noch eine wichtige Dimension, die ich nicht unerwähnt lassen will in Zeiten, in denen die Religionsverschiedenheiten Misstrauen und Feindschaft gegeneinander wachsen lassen und Terror und Krieg immer wieder Nahrung geben.
Gott sieht Hagar. Neigt sich ihr zu und eröffnet ihr eine Zukunft. Sie wird trotz aller Demütigung, der sie unter Sara ausgesetzt bleibt, selbst die Mutter eines großen Volkes. Ihr Sohn Ismael, so bezeugt ihre Geschichte wird der Stammvater der arabischen Völker.
Gott hat also nicht nur mit Abraham und Sarah und ihrem Sohn Isaak die Verheißung Israels im Blick, sondern schaut die gesamte Menschheit so an. Für sie stehen Hagar und Ismael. Der ganze Familie Gottes, deren Teil wir Christen und Christinnen sind, gilt Gottes Liebe und Zuneigung.
Jede Form von Menschenfeindlichkeit wie Hass, Gewalt, Krieg, Ausgrenzung oder Rassismus verbieten sich, weil Gott nicht ausgrenzt und mit Christus das Zeichen des Friedens gesetzt hat.
Gemeinsam teilen unsere drei Buchreligionen Hagars Bekenntnis: „Du bist ein Gott, der mich sieht“

3
Zum Schluss ein Blick auf das Jahreslosungsbild von Dorothee Krämer.   
Ein Mensch auf seinem Weg. Mann oder Frau. Jeder kann es sein. Das Lichtspiel der Farben dominiert dieses Bild.
Die Farben des Lebens von hell bis dunkel. Vom eintönigen Grau bis zum strahlenden Gelb.
Ein Lichtkegel fällt von oben nach unten auf den Weg. Gleich wird die dunkle Person hineintreten. Wird im Licht stehen.
Ich bin erinnert an eine Bühne, deren Vorhang sich gleich heben wird. Die Bühne des Lebens. Jedes Lebewesen hat ein Recht darauf, sie zu betreten, jedes hat das Recht, gesehen zu werden. Gleich wird die Person, die für mich einsam und verloren wirkt, kein grauer Schatten mehr sein. Sie wir gesehen. Sie wird erkennbar. Wir werden ihr Gesicht sehen. Ihre Augen. Ihren Mund. Ihr Lachen oder ihre Trauer. So will es Gott. Er lässt uns nicht im Dunkeln stehen. Er sieht uns. Sieht jeden von uns und will, dass wir einander ansehen, beachten. erkennen, würdigen.
Nur aus Sehen und Gesehen werden wird Begegnung.

 

4
Auf dem Weg durch dieses neue Jahr mögen Hagars Worte die deinen werden und dein Herz fest machen im Glauben daran, dass Gott dich sieht.“
Ich wünsche dir viele gute Begegnungen. Geh auch du auf andere zu. Spar nicht mit deinem Lächeln. Verberg aber auch nicht deine Traurigkeiten. Es ist zwar immer leichter Freude miteinander zu teilen als Trauer. Aber wo es Menschen gelingt Traurigkeit mitzuteilen und ihr zuzuhören, verlieren Trauer und Sorgen ihre Schwere und Begegnungen gewinnen an Tiefe.

Und wenn es einmal ganz einsam um dich und in dir ist, dann schau dir dieses Bild an. Vergewissere dich, dass du, wie die Frau, der Mann hier, nur wenige Schritte von dem Licht entfernt bist, das dein Leben wieder heller machen und dir neu die Zukunft öffnen wird: Licht aus dem Himmel, Licht von Gott, Licht aus dem Herzen eines anderen Menschen, den Gott dir über den Weg schickt. Schau nur genau hin: Dein Leben wird wieder bunter. Und sag es dir laut und ruhig ein paar Mal vor, was da für dich geschrieben steht: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“


Lied: Kv: Du bist ein Gott, der mich anschaut. Du bist die Liebe, die Würde gibt.
Du bist ein Gott, der mich achtet. Du bist die Mutter, die liebt, du bist die Mutter, die liebt.

1. Dein Engel ruft mich da, wo ich bin: „Wo kommst du her und wo willst du hin?“
Geflohen aus Not in die Einsamkeit, durchkreuzt sein Wort meine Wüstenzeit. Kv
2. Zärtlicher Klang: „Du bist nicht allein!“ Hoffnung keimt auf und Leben wird sein.
„Gott hört“ – so beginnt meine Zuversicht. Die Sorge bleibt, doch bedroht mich nicht. Kv
3. Schauender Gott, wo findest du mich? Hörender Gott, wie höre ich dich?
Durch all meine Fragen gehst du mir nach und hältst behutsam die Sehnsucht wach. Kv

 

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